(ö) 11 Kilometer
Es ist Pandemie. Wir soll(t)en uns abschotten, nicht mit anderen treffen, nicht unter Leuten sein, Menschenmassen vermeiden. Das ist ja auch eine Grund, warum das Kind nicht nach Frankreich fahren wird. Auf der Reise hin und zurück wäre er im Zug, in U-Bahnen, im Flieger, an Bahnhöfen, an Flughäfen. Und da sind einfach viel zu viele Menschen.
Und weil überall Menschen sind, gehe ich ja auch nur wenig raus: eigentlich nur zum Einkaufen. Und zum Luftschnappen, wobei das ja jenseits des Urlaubs auch zu kurz kam. Ich habe nur sehr wenig Bock auf Menschen und schon gar nicht in geschlossenen Räumen.
Nun begab sich aber, dass ich in Richtung Westen der Stadt musste: Nachdem ich mir erdreistet hatte, nach 7 Monaten beim Finanzamt nachzufragen, wie denn der Stand meiner Steuererklärung sei, fiel ihnen ein, dass sie unbedingt noch Belege bräuchten. Ich holzte also einen kleinen Wald ab, da Belege ja niemalsnie digital eingereicht werden können. Die Unterlagen müssen bis 22.12. beim Finanzamt sein. Und auch wenn die Post gerade sehr zuverlässig ist, finde ich innerstädtische Post in der Regel etwas albern, sodass klar war, dass ich den Umschlag selbst wegbringen werde. Und weil das Kind sein Zugticket nach Paris nun doch nicht mehr braucht und weil es ein Papierticket ist, kann ich es nur offline (bis 22.12.) stornieren. Immerhin liegen das Finanzamt und der Bahnhof nah beieinander.
Und weil im ÖPNV Menschen sind, wir Pandemie haben und ich eh Bewegung brauche, beschloss ich, das Ganze zu Fuß zu erledingen.
Nach 5,6 Kilometer konnte ich problemlos meinen kleinen Wald einwerfen …
… nach weiteren 700 Metern war ich am Bahnhof und kam im Reisezentrum auch – erfreulicherweise – direkt dran. Allerdings gestaltete sich meine Anliegen als aufwendiger als gedacht:
B: Ich müsste dieses Ticket stornieren. *reicht Ticket an Mensch am Schalter (MaS)*
MaS: *guckt Ticket an, tippt Dinge in den Computer* Das kann ich nicht stornieren, das muss eingeschickt werden.
B: Muss ich das selbst machen? Mir wurde mitgeteilt, dass ich das Ticket auch im Reisezentrum storniert werden kann.
MaS: Ich muss klären, ob wir das machen können. *geht zu Kollegin, kommt wieder* Also, wir müssen das auch einschicken. Ich kann Ihnen das Ticket nicht hier auszahlen.
B: Kein Problem. Aber ich habe jetzt keine Lust, mich um das Einschicken zu kümmern.
MaS: Aber Sie bekommen nur einen Reisegutschein.
B: Kein Problem.
MaS: (wirkt etwas unmotiviert) *tippt Dinge in den Computer, präsentiert Ausdruck* Das Formular müssten Sie ausfüllen.
B: *kramt Kuli aus Jackentasche* Das Formular hätte ich auch mitschicken müssen?
MaS: Ja.
B: *füllt Formular aus* Aha, und woher hätte ich das bekommen? Es steht ja nirgens auf dem Ticket, was ich im Falle einer Stornierung tun muss.
MaS: *dreht und wendet Ticket* Vermutlich im Internet.
B: *reicht ausgefülltes Formular* Und wenn nicht, hätte ich hier nochmal herkommen müssen?!
MaS: Vermutlich. *heftet Ticket und Formular zusammen* Wir schicken es jetzt ein.
Herrje, WIE kompliziert kann denn die Stornierung eines Papiertickets sein?! Und das nur, weil die SNCF angeblich bei Kindern nur Papiertickets akzeptiert. Ich hätte ja auch das Internet-Ticket ausgedruckt. Habe ich ja bei der letzten Fahrt vom Kind allein mit dem Zug auch.
Dann ging ich zu Fuß zurück und als ich zu Hause war, hatte ich 11,4 Kilometer in den Beinen.
Über 11 Kilometer hätte ich auch heute laufen können. Wenn ich um 17h30 gewusst hätte, was ich um 18h20 gelernt habe:
Ich hatte heute einen Friseurtermin. Mein Friseur ist in der Nachbarstadt, Offenbach. Von unserem Viertel zum Friseur fährt ein Bus durchgehend, aber das Wetter war heute Nachmittag gut und ich will ja nicht so viel im ÖPNV mit anderen Menschen verbringen, außerdem brauche ich weiterhin Bewegung. Also lief ich die 5,8 Kilometer. Problemlos.
Auf dem Rückweg machte ich einen Schlenker beim RB am Laden vorbei, hatte schwere Beine, zudem war es kalt und dunkel. Weil es zeitlich gerade passte, wollte ich den Bus nehmen. Denn da sind für gewöhlich nicht so viele Menschen drin. Außerdem fährt er direkt und braucht dadurch nicht so lange wie S- und U-Bahn. Nun ist aber – seit über drei Jahren – an der Haltestelle Kaiserlei bedingt durch den Umbau des Kreisels und der Autobahnauf- und -abfahrt Chaos. Von den beiden Bushaltestellen gibt es derzeit nur eine. Das steht aber seit drei Jahren nirgendwo wirklich. Geschweige denn, wo die andere Haltestelle sich befindet. Aber zum Glück kenne ich mich ein bisschen aus und wusste, wo ich die Haltestelle „Westseite“ finde. Ich war gut in der Zeit, durchquerte den S-Bahnhof, als gerade eine S-Bahn Richtung Frankurt einfuhr, und stand dann an der Haltestelle Westseite, die sich wie viele zweiteilt: auf jeder Straßenseite eine Haltestelle, wo die jeweiligen Busse in die entsprechend entgegengesetzten Richtungen abfahren. Für „meinen“ Bus, 103, präsentiert sich das wie folgt:
Ich wollte ja Richtung Frankfurt und stellte mich auf die Seite, auf der das ausgeschildert war (s. rechtes Bild). In der App sah ich, dass der Bus etwas Verspätung haben sollte. Nicht schön, aber immer noch schneller als mit S- und U-Bahn. Als die Verspätung allerdings 20 Minuten betrug, rief ich die rmv-Hotline an, die mir mitteilte, dass meine gewünschte Verbindung ausfallen würde. In der App kein Wort davon. Der nächste Bus käme aber. Ich wartete 10 Minuten und dann sah ich den Bus. Yeah. Nicht. Denn er fuhr auf der anderen Seite, dort hielt er aber auch nicht an, sondern fuhr durch. WAS FÜR EINE SCHEISSE! Ich hätte gerne wen erwürgt. Aber es war keiner da und so stieg ich in die nächste S-Bahn und dann in die U-Bahn und war 45 Minuten später zu Hause als mit dem ursprünglichen Bus. Und ein halbe Stunde später als wenn ich direkt gelaufen wäre.
Und wenn ich dann noch an den Mist mit der Lufthansa-Hotline von Freitag bzw. Samstag denke, wundert es mich nicht, dass die Deutschen keinen Bock haben, aufs Auto zu verzichten. Sobald eine versucht, sich im Rahmen der Mehrpersonenbeförderung fortzubewegen, wird es kompliziert. Ich finde das sehr schade, denn ich bin große Verfechterin von ÖPNV und Bahn neben Fahrrad und Laufen zur Fortbewegung. Meiner Meinung nach braucht niemand in der Stadt ein eigenes Auto. Außerdem hasse ich Autofahren – in der Stadt eh und für die Langstrecke, wenn nichts transportiert werden muss, ist es auch keine attraktive Option.