(ö) Unmenschliche Idylle

(ö) Unmenschliche Idylle

„Ist das auszuhalten?“ bin ich nach unserem Besuch in Auschwitz gefragt worden. Es ist aber meiner Meinung nach keine Frage, ob es auszuhalten ist. 80 Jahre nach Kriegsende, während nur noch wenige Zeitzeugen* leben, der Faschismus weltweit wieder erstarkt und Deutschland zunehmend nach rechts rückt, müssen wir das aushalten. Wir müssen uns vor Augen führen, was passieren kann. Weil es schon mal passiert ist.**

Schon seit ein paar Jahren waberte in meinem Kopf, dass ich nach Auschwitz möchte. Mit dem Kind. Doch dann kam die Pandemie, der BurnOut und ein paar Jobwechsel, die Urlaubsplanungen schwierig machten. Zudem verbrachte das Kind ja immer einen Großteil seiner Ferien beim Kv. Die Zeit ging ins Land und das letzte Schuljahr brach an. Das Kind ergatterte erfolgreich einen Ausbildungsplatz und da war für mich klar: Wenn wir nicht in diesem Sommer zusammen Urlaub machen, dann so schnell nicht mehr. Und nachdem das Kind keinen Bock auf Rotterdam hatte und Polen als Urlaubsland vorschlug, war beschieden: Es geht nach Kraków mit Auschwitz und Warszawa. Und weil es sich organisatorisch anbot, machten wir auf dem Hinweg Stopp in Berlin, um das Haus der Wannsee-Konferenz zu besichtigen.

Am 5. Tag unserer Reise, nach einem entspannten Tag in Kraków, fuhren wir – selbstorganisiert – nach Oświęcim. Gebucht hatten wir die 6-Stunden-Studientour. Der Tag begann früh, denn unsere Tour sollte um 9h15 starten und wir sollten entsprechend um 8:45 da sein. Daher mussten wir mit dem Zug um 6h56 fahren. Vom Bahnhof in Oświęcim fuhren wir mit dem Bus zum Museum. Es gibt dort zwei Schlangen: eine für die, die bereits ein Ticket haben, und eine für diejenigen ohne Ticket. Bei der Sicherheitskontrolle fiel mir ein und natürlich auch dem Gerät auf, dass ich – wie immer – mein Taschenmesser dabei hatte. Also musste ich nochmal schnell raus, und mein Taschenmesser ins Schließfach packen. Das ist aber alles ganz gut organisiert. Nach der Sicherheitskontrolle holten wir uns Aufkleber als Erkennungszeichen, welche Tour wir gebucht hatten. Auf denen auch dick „DEUTSCH“ stand. So markiert warteten wir kurz, bis uns unsere Guide einsammelte und schnell ins Museum brachte.

Vorneweg: Unsere Guide war toll. Die Taktung der Touren im Stammlager ist sehr eng. Sie hat es trotzdem geschafft, dass wir uns nicht durch das Museum gehetzt fühlten. Gleichzeitig war es nicht langatmig und wir merkten nicht, wie die Zeit verging.

Nachdem wir mit der Technik ausgestattet waren und einen kurzen Einführungsfilm gesehen hatten, ging es los: Durch einen engen Betongang ging es aufs Gelände. Der Gang war relativ lang und beklemmend, was davon verstärkt wurde, dass über Lautsprecher die Namen der Opfer zu hören waren. Das war schon der erste Moment, in dem ich schlucken musste. Am Ende des Gangs erwartete uns ein Weg, der uns zum berühmten „Arbeit macht frei“-Tor führte. Danach eröffnet sich ein surreales Gelände: An manchen Stellen und wenn eins den Stacheldraht nicht sah, hätten es auch alte Schullandheime sein können. Oder halt einfach nur das, was es vor den Nazis war: Unterkünfte für Soldaten. Kopfsteinpflaster zwischen den rotbraunen Ziegelbauten, die von Bäumen gesäumt werden. Absurd ruhig und fast idyllisch.

Unsere Tour ging durch mehrere Baracken. Jede einzelne wirkt für sich. In den meisten sind Ausstellungsteile installiert: Berge von Geschirr, Koffern oder Schuhen. All die Bilder, die anfangs noch von den Häftlingen gemacht wurden (später nur noch eine Tätowierung). Einige Baracken sind von innen erhalten: Gefängniszellen, Büroräume, Verhörräume. An mehreren Stellen musste ich weinen.

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Zum Ende der Tour ging es durch einen Seitenausgang vor das Lager. Da waren die Gaskammern und das Krematorium des Stammlagers. Da war auch das Haus von Höß zu sehen. Und auch der Galgen, an dem Höß erhängt wurde – der Blick auf „sein“ Lager war gewollt.

Dann hatten wir Zeit für eine kleine Pause, bevor es am Außenlager Birkenau weiterging. Unser Guide hatte zwar gesagt, dass das Außenlager 30 mal so groß ist wie das Stammlager, aber so richtig vorstellen konnte ich mir das nicht. Das berühmte Torhaus wirkte so klein in Anbetracht der Dimensionen, vor denen wir nun standen. Links vom Tor, durch das die Züge zur Rampe fuhren, ließ sich das Ende des Lagers noch ausmachen. Rechts war nicht wirklich zu erkenen, wo das Lager endete. Ein Zaun, durchbrochen von Wachtürmen, so weit das Augen reicht.

Dieses nicht wirklich zu fassende Ausmaß der Unmenschlichkeit präsentierte sich auch auf dem Gelände: Baracke an Baracke an Baracke. Und da, wo die Bracken von den Nazis niedergebrannt wurden, standen noch die gemauerten Schornsteine. Jeweils zwei pro Baracke ragten aus dem Boden. Die lange Rampe, der Ort, an dem die Ankommenden endgültig entwürdigt, entmenschlicht und oftmals direkt in den Tod geschickt wurden, reicht bis zum Denkmal. Doch dahinter ist das Gelände nicht zu Ende. Mit jedem Schritt, den wir machten, dehnte sich das Lager weiter aus. Nach dem einen Krematorium kam die Entkleidungsbaracke, dann wieder Gaskammern und Krematorien. Baracken, in dem die geraubten letzten Habseligkeiten der Deportierten lagerten. Wieder Gaskammern.

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All das ist eingebettet in eine ländliche Idylle, gesäumt von einem Wäldchen, durch das gar nicht so weit vom Lager entfernt die Weichsel fließt. Zu wissen, welch unmenschliche Verbrechen da passiert sind, zu wissen, dass Du gerade auf dem größten Friedhof der Welt ohne Gräber, auf der Asche von tausenden Menschen rumläufst, während es so schön grün ist, der Himmel blau und die Wölkchen weiß sind, macht all das unwirklich.

Birkenau ist der krasseste Ort, den ich jemals gesehen habe.

Es war gut, dass wir das gemacht haben. Es musste und muss immer noch sacken. Das war sehr fordernd, aber auch wichtig und gut.

 

Zum Organisatorischen:
Eins kann in ganz Kraków Touren nach Auschwitz buchen. Bus ab Kraków, 3-Stunden-Führung und wieder zurück. Ich fand aber die Vorstellung mit fremden Menschen nach dem Auschwitz-Besuch in einem Bus „eingesperrt“ zu sein, nicht sonderlich attraktiv. Zudem wollten wir ja die 6-Stunden-Tour machen und das geht halt nur selbstorganisiert.

Die Buchung von Touren geht ganz einfach über die offizielle Seite des Auschwitz-Museums. Es werden Touren auf verschiedenen Sprachen angeboten. Das Museum im Stammlager kann nur mit einer:m Guide besucht werden. Das Außenlager Birkenau kann kostenfrei auch ohne Guide besichtigt werden.

Von und nach Kraków fahren Züge:

Nicht ständig, aber für uns hat es gut gepasst.

Vom Bahnhof in Oświęcim zum Museum/Stammlager (und zurück) fahren mehrere Busse. Am einfachsten ist es mit der Buslinie M (4 zł p.P.). Zwischen Stammlager und Außenlager fahren alle 8 Minuten kostenfreie Transferbusse.

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* In meiner Familie lebt die Generation, die WW2 erleben musste, nicht mehr.

** Und in den USA in Teilen wieder passiert.

*** Die Woiwodschaft, in der Oświęcim und Kraków liegen, heißt Kleinpolen (Małopolskie).

4 Gedanken zu „(ö) Unmenschliche Idylle

  1. Danke fürs Mitnehmen und für die Tipps. Bisher habe ich mich für diese Reise noch nicht aufraffen können. Buchenwald und Dachau haben mich schon sehr beschäftigt. Auschwitz/ Birkenau ist nochmal eine andere Hausnummer.

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