(ö) Karöttchen
Ich muss ja gestehen, dass ich bis zur Verurteilung von Kristina Hänel dachte, dass Schwangerschaftsabbrüche generell straffrei sind. Über die Bewerbung von Schwangerschaftsabbrüchen habe ich mir gar keine Gedanken gemacht. Dass es §219 gibt, wusste ich nicht. Ich kenne ja das HWG und fand, dass das ausreicht und auch zu Recht Werbung im Gesundheitsbereich reglementiert (wobei ich mich immer noch frage, warum plastische Chirurgen werben dürfen).
Dann las ich mich ein bisschen ins Thema ein. Und seitdem kommt mir regelmäßig die Galle hoch, wenn ich irgendwie auf das Thema stoße. So auch beim Besuch der „Glanz und Elend“-Ausstellung (Text aus der Schirn-Ausstellung):
1871 war das Abtreibungsverbot unter Paragraf 218 ins Reichsstrafgesetzbuch aufgenommen worden. Nicht nur die Schwangere, die abtrieb, konnte nun mit Gefängnis bestraft werden, sondern auch derjenige, der den Abbruch vornahm. Als Machtinstrument der Geburtenpolitik wurde das Thema zum Gegenstand einer öffentlichen Debatte, geprägt auch durch Juristen, Mediziner, Kirchen und Parteinen sowie die sich formierende Frauenbewegung. In der Weimarer Republik wurde die Abtreibungsdebatte zum Synonym für die Gesellschaftskritik und zu einer Volksbewegung, welche die unterschiedlichsten progressiven Kräfte aus Bürgertum und Arbeiterschaft vereinte. Die Forderung nach dem „Recht am eigenen Körper“ gewann im Zuge des 1918 eingeführten Frauenwahlrechts erneut an Aktualität. In zahlreichen Büchern und Theaterstücken, aber auch in der bildenden Kunst wurde das brennende Thema aufgegriffen.
Bis zum Ende der Inflation 1924 stand insbesondere die arme, kinderreiche Proletariarin als Opfer der sozialen Verhältnisse, versinnbildlicht im staatlich verordneten „Gebärzwang“, im Fokus der Proteste. […] Die entscheidenden Impulse für die Mobilisierung der Bevölkerung entstanden unter dem Eindruck der mit der Massenarbeitslosigkeit einhergehenden Weltwirtschaftskrise. Aber alle in den folgenden Jahren von USPD, SPD und KPD im Reichstag eingebrachten Aufhebungsanträge bliebe erfolglos. Trotz zahlreicher Bündnisse, zahlloser Kampagnen und Massendemostrationen gelang es nicht, den Paragraphen abzuschaffen.
Mal ehrlich: 1871 … Reichsstrafgesetzbuch?! Die Menschheit befindet sich im 21. Jahrhundert, aber der weibliche Körper ist in Deutschland weiterhin im 19. Jahrhundert hängengeblieben.
Ja, und den Rest – §§218/218a – bitte gleich mit streichen. Das Gönnerhafte, das aus §218a trieft ist ein Unverschämtheit für jede Frau, die in dieser Entscheidungsnot steckt. https://t.co/7POhh0HtzR
— Little B. (@LittleBinF) 12. Dezember 2017
Der Frau wird weiterhin eine Entscheidung über den eigenen Körper nicht wirklich zugetraut. Die Frau braucht Beratung. Eine Beratung, die aber nicht der Frau dienen soll, sondern dem „Schutz des ungeborenen Lebens“. Als würde auch nur eine Frau diese Entscheidung leichtfertig fällen. Und als wäre sie (mental, intellektuell) nicht in der Lage die Reichweite einer solchen Entscheidung zu erfassen.
Ich frage mich gar nicht, warum der Gesetzgeber das nicht ändern will. Denn es ist klar, dass es letztlich der Sicherung des Patriarchats und der konventionellen Rollenbilder dient. Die vielen Rechte, die Frauen heutzutage bereits haben, sind vielen Altvorderen ja eh schon mehr als suspekt. Von der (katholischen) Kirche mal ganz zu schweigen.
Aber warum lassen wir Frauen das mit uns machen? Warum akzeptieren wir, dass wir uns, weil §218 weiterhin besteht, bei einem Schwangerschaftsabbruch irgendwie ja doch strafbar machen. Dank (eigentlich gibt es da nichts zu danken) §218a mit Auflagen ist ein Abbruch nicht mehr gesetzlich strafbar, aber doch moralisch. Eine ohnehin schon schwere Entscheidung wird – unnötig – noch schwerer gemacht.
Was muss eigentlich passieren, dass Frauen sich nicht mehr mit so kleinen Karöttchen zufrieden geben? Warum sind Frauen froh um jedes – noch so kleine – Zugeständnis und wagen nicht einen (großen) Schritt weiter? Diese ganzen Rechte für Frauen und entsprechenden Gesetzgebungen dazu sind – mal abgesehen vom Wahlrecht, das 2018 seit 100 Jahre besteht – teilweise noch so verdammt jung, dass ich tatsächlich befürchte, dass diese nach dem Motto „Last comes, first goes“ als erste übern Jordan gehen, sollte es politsch und gesellschaftlich (weiter) kippen.
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